Holy Motors Drucken
Geschrieben von: Martin Kunze   
Freitag, den 28. Juni 2013 um 08:29 Uhr

Bildquelle: DVD ArsenalRegie: Leos Carax
Darsteller: Denis Lavant, Èdith Scob, Kylie Minogue, Eva Mendes, Michel Piccoli, Èlise L`Homeau, Jeannes Disson, Leos Carrax
Genre: Drama, Kunstfilm, Avantgarde
FSK: ab 16 Jahren
Sprache: Deutsch, Französisch
Untertitel: Deutsch
Produktionsjahr: 2012
Produktion: Pierre Grise Productions / Théo Films / Arte France Cinéma / Pandora Film / WDR-Arte/ wild bunch
Laufzeit: 115 Minuten
Erschienen: 12. April 2013

Der mysteriöse Monsieur Oscar ist ein vielbeschäftigter Mann. In einer schneeweißen Limousine wird er quer durch Paris kutschiert und verwandelt sich mithilfe von Masken und Accessoires in andere Personen. So viele Leben in nur einer Nacht zu leben, ist wahrlich kein Kinderspiel. Vom Industriekapitän zur Bettlerin, vom treusorgenden Familienvater zum Profikiller, vom Akkordeonspieler zum sterbenden, alten Mann,scheint nur ein Katzensprung zu sein. Sein rollendes Reich transportiert ihn von einer Existenz in die andere. Monsieur Oscar scheint Rollen zu spielen, füllt jeden Part komplett aus - aber wo sind die Kameras?

"Holy Motors" ist ein besonderer Film, eine formvollendete aber gleichzeitig formlose Ode an das alte Kino

Warum Oscar in all diese Rollen schlüpft, bleibt im Unklaren. Ist man anfangs noch versucht, Erklärungen für das turbulente Geschehen zu finden, muss man bald vor dem von Leos Carax ("Die Liebenden von Pont-Neuf") entfesselten Bilderrausch kapitulieren.

Wenn Oscar in seiner Verkleidung als grotesk-koboldartiges Männchen ein als Diana gewandetes Model während eines Fotoshootings auf einem Friedhof entführt, sie in eine Katakombe verschleppt, ihre Zigaretten raucht, ihr Geld frisst und ihr aus ihrem teuren Seidenkleid mit Zähnen und Klauen eine Burka schneidert, ist dies dann ein Kommentar zum Islam oder zur Oberflächlichkeit der Modewelt? Und warum bestreut er sich danach mit Rosen und bettet sich nackt in ihrem Schoß, woraufhin sie ihm ein Wiegelied singt?

Warum zieht sich derselbe Mann wenig später eine purpurrote, mit Stacheldraht umwickelte Skimaske an und erschießt auf offener Straße einen Bankier? Kritik am Kapitalismus? Pussy Riot? Man weiß es nicht, und  bevor man allzu sehr darüber reflektieren kann, wechselt Oscar schon wieder in eine neue Rolle.

Dieser Film ist eine umtriebige Assoziationsmaschine, eine einzige offene Frage, die sich windet und wandelt, nur um dann wieder im Dunkeln zu verschwinden

Sich "Holy Motors" anzuschauen, ist wie mit verbundenen Augen ein unbekanntes Objekt zu ertasten, dessen Oberfläche voller kleiner Widerhaken ist. Wo man hängenbleibt, ist letztlich nur der Struktur der eigenen Handflächen geschuldet, wenn man sich aber zu sehr verfängt, ist es unmöglich, das Ding in seiner emotionalen Gesamtheit anzunehmen.

Nur zwei Dinge scheinen hier völlig sicher zu sein. Erstens: Oscars Sprünge von Leben zu Leben sind offensichtlich Teil eines größeren Plans und in einer einzigen Nacht sind in Paris sehr viele heilige Maschinen unterwegs, kreuzen ihre Wege und transportieren Fragmente größerer Geschichten. Und zweitens: Sexy Kylie Minogue ist seit den 80ern kaum einen Tag gealtert.

"Holy Motors" ist ein Paradebeispiel des französischen Kunstfilms, der viel erzählt und wenig preisgibt

In Cannes wurde er frenetisch gefeiert und für die Goldene Palme nominiert. Da Applaus von den teuren Plätzen jedoch kein Maßstab sein kann, muss am Ende jeder für sich selbst entscheiden, ob dieser unterhaltsame Wahnsinn auch tatsächlich Methode hat.

 

Für den ersten Einblick in diese psychedelische Reise findet sich hier Seite und Trailer zum Film.

 

Vielen Dank an DVD Arsenal für die Bereitstellung des Rezensionsmaterials!